Auf Zeitreise im Plattenladen

Alfons Hagedorn (rechts) nimmt sich gern Zeit, um mit Kunden über Platten aller Art zu reden. "Mit diesem Laden wirst du nicht reich, aber es macht großen Spaß." Foto: Motog

Still- oder Lautleben mit Maiden: Bei "Schachmatt" läuft Musik eher dezent im Hintergrund. Wer möchte, kann sich aber eine Platte seiner Wahl auch lauter anhören - per Kopfhörer. Foto: Motog

Alfons Hagedorn (rechts) nimmt sich gern Zeit, um mit Kunden über Platten aller Art zu reden. "Mit diesem Laden wirst du nicht reich, aber es macht großen Spaß." Foto: Motog

Still- oder Lautleben mit Maiden: Bei "Schachmatt" läuft Musik eher dezent im Hintergrund. Wer möchte, kann sich aber eine Platte seiner Wahl auch lauter anhören - per Kopfhörer. Foto: Motog

Von Christoph Motog

 

Lippstadt - Der mir gut bekannte DJ starrt versunken in die Plattenkiste. Als ich ihn von der Seite anspreche, zuckt er zusammen wie ein ertappter Strauchdieb. „Erzähl ja nicht meiner Frau, dass du mich hier getroffen hast“, beschwört er mich. Ihm schwant Ärger, weil sein Zuhause schon mit Tonträgern vollgestopft ist. „Ich will die Sammlung nur ein bisschen ergänzen“, rechtfertigt er sich für das halbe Dutzend Singles in seiner Hand. Es ist 15.50 Uhr, und der fündig gewordene DJ ist im Lippstädter Secondhand-Schallplattenladen „Schmachmatt“ nur ein Kunde unter vielen. 

Bohlen als Rausschmeißer

Die Anwesenden, unter ihnen Schüler wie Rentner, reagieren ausnahmslos entspannt auf den freundlichen Hinweis, dass in zehn Minuten für heute Feierabend ist. Um 15.58 Uhr verlässt der Letzte den Laden. Was aber, wenn jetzt Fanatiker hier gewesen wären, die angesichts der Verlockung abertausender Scheiben grade für jede Ansprache taub sind? „Dann hätte Modern Talking geholfen – in voller Lautstärke“, erklärt Alfons Hagedorn, der das Geschäft mit seiner Frau Daniela führt. 

Mitten im Kiez

Das Paar führt bereits seit Oktober 2022 einen Plattenladen in Salzkotten – und der lief von Anfang an so gut, dass alsbald der Entschluss fiel, nach Lippstadt zu expandieren. Dass sie schließlich in der Poststraße fündig wurden, freut die beiden besonders: „Hier ist ja der Kiez von Lippstadt.“ Erwähnt sei auch die lange Geschichte der Poststraße als Anlaufpunkt für LP- und CD-Käufer: Es gab über viele Jahre einen Plattenladen in der P3, es gab „Stone Free Music“, und oben im Haus Köppelmann an der Ecke Lange Straße gab es „BAM“. „Schachmatt“ knüpft an diese Tradition an. Wer möchte, kann sich Platten hier wie früher per Kopfhörer anhören und dabei einen frisch gebrühten Kaffee trinken.

Hier herrscht Chancengleichheit

„Auf eine Sortierung nach Genres haben wir in Lippstadt verzichtet“, erklärt Alfons Hagedorn. Grund: Wiederverkäufer oder auf bestimmte Namen spezialisierte Freaks sollen beim Stöbern keinen Vorteil haben – alle sollen die gleiche Chance auf einen guten Fang haben. Daher mischt sich in den Kisten und Regalen Schlager mit Rock oder Jazz mit Soundtracks. Wer finden will, muss suchen. Hörspiele sind auch im Angebot. Und neben dem geballten Vinyl bietet „Schachmatt“ auch eine kleine Auswahl an CDs.

Vinyl hält ewig

Für den Nachschub kaufen die Hagedorns ständig ganze Sammlungen auf. In die Kisten und Regale kommen nur gut erhaltene Stücke. Wer eine Scheibe kauft, kann sie gratis in einer bereitstehenden Plattenwaschmaschine reinigen lassen. Was viele nicht wissen: Im Gegensatz zu CDs sind Schallplatten schier ewig haltbar, wenn sie pfleglich behandelt werden.

Nicht wie bei Goldt

Der Schriftsteller Max Goldt hat mal nacherzählt, wie es einer älteren Frau in einem Szene-Plattenladen erging, den sie besser nicht betreten hätte: „Unsicher blickt sie umher und sagt zum Händler: ,Ja meine Enkelin hat nächste Woche Geburtstag, und…’ Die Augen des Plattenmanns nehmen einen entrüsteten Ausdruck an, doch die kleine Frau versteht das Signal nicht und fährt fort: ,… und da hätte sie gerne eine Platte von der Tina Turner…’. ,Tina Turner führen wir nicht’, versetzt der Händler, und wer bislang nicht wusste, was Verachtung ist, der weiß es jetzt…“ Eine derartige Arroganz droht bei „Schachmatt“ nicht ansatzweise. Egal ob Rock, Jazz, Klassik oder Schlager: „Jede Musikrichtung hat ihre Daseinsberechtigung“, ist ein Credo der Hagedorns, die selbst große Musikliebhaber sind und sich gern alle Zeit nehmen, um sich mit ihren Kunden über Platten aller Art zu unterhalten. „Mit diesem Laden wirst du nicht reich, aber es macht großen Spaß.“

Zurück mit der Sammlung

Vinyl galt lange Zeit als hoffnungslos veraltet. Viele lösten in den 90ern ihre komplette Schallplattensammlung auf und kauften fortan nur noch CDs. Im Laufe der 2010er-Jahre setzte allerdings ein Vinyl-Comeback ein, das immer mehr Fahrt aufnimmt. Eine Folge des Booms: Mancher, der vor 30 Jahren all seine LPs verschenkt hat, baut seine alte Sammlung wieder auf.

Schmerzhaft schön

Alfons Hagedorn beobachtet immer wieder, dass Kunden scheinbar unvermittelt zu lächeln anfangen oder versonnen ins Leere blicken. Grund: Sie sind auf eine altvertraute Platte gestoßen. Das Cover weckt schlagartig schöne, ja schmerzhaft schöne Erinnerungen – es ruft die Gefühle einer längst verflossenen Zeit zurück. Es ist aber nicht nur Nostalgie, es gibt weitere Gründe für die Renaissance der schwarzen, zuweilen auch bunten Scheiben: „Für viele Menschen hat die Schallplatte einen besonderen Klang, zugleich ist sie etwas zum Anfassen, zum bewusst Auflegen und Hören“, heißt es in einem Statement des Bundesverbands Musikindustrie.

Laden-Konzerte? Ja!

Außer Frage steht, dass ein Plattenladen, wie eine Bibliothek oder Buchhandlung, jede Stadt kulturell bereichert. Das wirft die Frage auf: Könnten bei „Schachmatt“ nicht auch dezente Unplugged-Konzerte stattfinden? „Es gab schon mehrere Anfragen“, sagt Alfons Hagedorn – und ja: „Wir sind dafür zu haben, darauf haben wir richtig Bock!“