Max Kersting im Interview

Max Kersting in seiner alten Wohnung im Münchner Stadtteil Schwabing-West. Mittlerweile wohnt der Künstler und Autor in der angesagten Maxvorstadt. Foto: Verena Kathrein

Los geht die Ausstellung am 9. September um 16 Uhr.

Max Kersting in seiner alten Wohnung im Münchner Stadtteil Schwabing-West. Mittlerweile wohnt der Künstler und Autor in der angesagten Maxvorstadt. Foto: Verena Kathrein

Los geht die Ausstellung am 9. September um 16 Uhr.

Manche Blicker-Leser schlagen in jeder neuen Ausgabe zuerst die Seite 29 auf. Dort finden sich seit über zehn Jahren „die wohl kürzesten Geschichten der Welt. Ein paar Worte, kaum Satzzeichen, viel Augenzwinkern“ (Spiegel Online). Es handelt sich um auf Flohmärkten aufgestöberte alte Fotos, die der in München, aber mit Zweitwohnsitz auch in seiner alten Heimat Lippstadt lebende Max Kersting mit einer Aufschrift versehen hat – einer Gedankenübermalung. Heißt: In die Jahre gekommenen Zufalls-Schnappschüssen mit scheinbar banalen Motiven haucht Kersting mit wenigen krakeligen Worten neues Leben ein. Die Ergebnisse sind immer wieder so lustig, dass der Künstler vom Zeit Magazin gar zum „Loriot unserer Zeit“ gekürt wurde. In Kürze eröffnet Max Kersting unterm Titel „Damals hatten wir Minigolf, sonst nichts“ eine Ausstellung im Lippstädter Kunstturm: Neue Bilder und Originale aus seinem Buch „Auf der Suche nach Trouble“ sind dort ab 9. September zu sehen. Zur Einstimmung auf die Ausstellung hat Blicker-Redakteur Christoph Motog mit Max Kersting über seine Arbeit und seine Lippstädter Identität gesprochen.

  Von der Zeit bis zur Süddeutschen: Deine Arbeiten sind schon in vielen renommierten Blättern veröffentlicht worden. Auch Besprechungen Deiner Bücher und Werke fielen meist überaus positiv aus. Du wurdest zum Beispiel mal im Zeit Magazin Newsletter zum „Loriot unserer Zeit“ gekürt. Gibt es unter den vielen Zuschreibungen eine, die dich besonders gefreut hat?

Der Vergleich zu Loriot hat mich natürlich sehr gefreut. In Zusammenhang mit einer so renommierten Persönlichkeit gebracht zu werden, das macht Freude und gibt Antrieb. Viktor von Bülow war (oder ist) mit Sicherheit der bekannteste Komiker Deutschlands und auch ich bewundere seine Sicht auf die Welt. Ich habe die Sketche und Filme von Loriot aber erst durch meine Freundin richtig kennengelernt, die alles von ihm auswendig kennt. Ich hoffe es ist wirklich ein Funken Wahrheit an diesem Vergleich. Realistischer finde ich eine Zuschreibung von Mareike Fallwickl die Anfang 2023 in einem Magazin namens materialist, erschienen ist, in dem sie schreibt, meine Arbeiten wären "Witzig und weird und seltsam und manchmal sehr sinnlos". Angenehm entlarvend, wie ich finde. Gefreut hat mich diese Zuschreibung auch. 

 

Hast Du ein persönliches Lieblingsbild unter deinen Gedankenübermalungen?


Mit manchen führe ich seit Jahren eine On/Off-Beziehung. Im Grunde mag ich sie aber alle.   Und gibt es eins, dass du rückblickend lieber nicht veröffentlicht hättest?
 Gerade fällt mir keins ein. Es kommt höchstens mal vor, dass ich im Nachhinein lieber ein anderes Bild veröffentlich hätte. Wenn ich manchmal für Magazine arbeite, arbeite ich häufig mit einer Deadline im Nacken. Wenn das Magazin dann gedruckt ist und das Bild erschienen, in dem Moment fällt mir dann manchmal noch etwas anderes ein, etwas, dass ich vielleicht lieber veröffentlicht gesehen hätte.

 

Oder gab es mal eins, dass du gut fandest, aber am Ende nicht veröffentlicht hast, weil es dir für die Öffentlichkeit zu heavy erschien?


Grundsätzlich ist meine Arbeit ja eher leichte Kost, never heavy. Deswegen habe ich in letzter Zeit auch mal überlegt, ernstere Bilder zu machen. Habe ich dann aber nicht. Nachdenkliche Bilder sind aber schon entstanden. Wichtig ist vielleicht allgemein, dass es eine gewisse Qualität hat. Die ist mir wichtiger als ihr Grad an Ernsthaftigkeit. Zur Qualitätssicherung habe ich so eine Art kleine Regel für mich selbst. Wenn ich gestresst, genervt oder hoffnungslos bin, ist es besser, wenn ich einen Mittagsschlaf mache, statt Fotos zu beschriften oder zu schreiben, weil ich in solchen Momenten dazu neige, meine schlechte Laune zu stark in meine Arbeit einfließen zu lassen. Schlechte Laune macht meine Arbeit nicht gut, im Gegenteil.   Aber, und hier kommt der vielleicht interessante Teil: Manchmal können mich der nervige Alltag, Probleme oder schlechte Gefühle tatsächlich zu guten Ideen inspirieren, wenn man ihnen mit einer Prise Humor, Leichtigkeit und Mitgefühl begegnet.   

 

Hast du mal mitbekommen, dass jemand auf einem der Fotos identifiziert worden ist?


Ja, das ist tatsächlich vor Kurzem zum ersten Mal passiert. Eine Dame schrieb mir und meinte, sie habe sich und Verwandte auf einem Foto wiedergefunden, als sie einen Bericht über mein aktuelles Buch bei 3Sat gesehen hatte. Ihre Hauptfrage war, wie ich an dieses Bild gelangt bin, was ich leider nicht genau rekonstruieren konnte. Die E-Mail war nicht unbedingt freundlich, deshalb habe ich mir wirklich Mühe gegeben, ihr ausführlich zu antworten und meine Arbeit zu erklären. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass sie gar nicht böse war – sondern einfach nur neugierig, verwundert und überrascht.   Letztendlich habe ich ihr ein Exemplar meines Buches zugeschickt und unter das Foto, von dem ich jetzt wusste, wer es vermutlich gemacht hatte, die Bildcredits geschrieben. Danach habe ich jedoch nie wieder etwas von dieser Dame gehört. Tatsächlich hat es mich gefreut, dass sich jemand auf dem Foto erkannt hat. Schließlich ist es auch eines meiner Anliegen, ein paar alte Fotos vor dem Vergessen zu bewahren.   

 

Hat sich im Laufe der Jahre etwas an Deiner Herangehensweise geändert?

Die Unbeschwertheit des Anfangs ist natürlich verflogen. Auch schreibe ich nicht mehr, wie ganz am Anfang, direkt auf meine Fotos. Man kann das auch sehen, finde ich. Am Anfang war alles etwas spontaner, lässiger und man könnte auch sagen ... rotziger. Ich bin mit dem Material sehr unvorsichtig umgegangen, habe direkt aufs Foto geschrieben, ohne mir vorher viel dabei gedacht zu haben. Mittlerweile bedeutet mir mein Fotomaterial sehr viel, deswegen mache ich manchmal sogar erst ein Foto vom Bild mit meinem iPad und arbeite dann Entwürfe dort aus, um zu sehen, was gut ist und gut passt. Ich fasse sie also jetzt etwas mehr mit Samthandschuhen an.   

 

2013 erschien „Drei unbeschwerte Tage“. 2022 folgte „Auf der Suche nach Trouble“. Kommt 2031 ein drittes Buch mit deinen Gedankenübermalungen?

 Ja, das denke ich schon. Ich habe eine Vorliebe für Trilogien. Drei Bücher mit beschrifteten Fotos bilden eine solide Grundlage, um dann zu sagen: Basta. Bei "Herr der Ringe" hat es ja auch nicht mehr gut funktioniert, als sie mehr als drei Filme gemacht haben. Oder hat es?   

 

Du hast in Düsseldorf und Berlin gelebt. Nun bist du schon einige Jahre in München. Wo gefällt es dir am besten?


Wie meine Bilder mag ich sie alle, alle haben etwas ganz Eigenes. Unterhalten darüber könnte ich mich mit Sicherheit, aber nur viel zu lange.   Egal wo du gelebt hast: Du hast dich immer weiterhin auch als Lippstädter bezeichnet. Lässt sich deine Lippstädter Identität in ein paar Worten zusammenfassen?
 Ich glaube, der Ort, an dem man seine Kindheit und Jugend verbringt, jene Zeit, in der sich die Identität am stärksten formt, bleibt für immer eine Art Heimat. Meine Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend in Lippstadt sind voller schöner Momente, und ich kehre immer wieder gerne dorthin zurück. Wenn ich woanders bin, mag ich es, Lippstadt zu "glorifizieren". Meine Freundin kann davon ein Lied singen, manchmal verdreht sie die Augen, aber ich mache trotzdem damit weiter.   Übrigens, jeden Morgen lese ich in München auf meinem iPad den Patriot. Jeden lokalen Beitrag! Von vorne bis hinten. Mir ist es wichtig, auf dem Laufenden zu bleiben. Man könnte sagen, wie andere Fußballfans einem Verein treu sind, so bin ich ein Fan von Lippstadt – ein Lippstadt-Fan in München. Hier erzähle ich oft von den Rummenigges, und dass meine Mutter und Kalle Rummenigge zusammen den Führerschein gemacht und bei ihrer Fahrprüfung im gleichen Auto gesessen haben, obwohl ich nicht sicher bin, ob das wirklich stimmt.   

 

Du hast schon viele Ausstellungen gehabt, in Hamburg, Köln, Düsseldorf und Berlin. Warum zeigst du deine Werke erst jetzt in Lippstadt?


Ach, 2023 ist einfach ein gutes Jahr, um meine Arbeiten in Lippstadt zu zeigen. Ich habe auch das Gefühl, das hat der Künstler Claus Richter, der genau wie ich auch aus Lippstadt kommt und hier aufgewachsen ist, wohl auch unterbewusst so gedacht. Claus Ausstellung "Lippstadt" ist für mich zweifellos ein absolutes Muss. Eine Ausstellung dieser Qualität zieht normalerweise Kunstinteressierte an, die bereit sind, weite Strecken zu fahren ... bis nach Frankfurt z.B. ... oder zumindest bis nach Liesborn oder Münster.   Eigentlich wurde ich aber von Dirk Skrowonski vom Kunst im Turm e.V. gefragt, ob ich Interesse daran hätte, meine Arbeiten dort einmal zu präsentieren. Und an dem Tag als ich darüber nachgedacht habe, ob ich diese Gelegenheit ergreifen sollte, begegnete mir eine junge Frau, die zufällig eine Baseballkappe trug, auf der "Why not?" stand. Ich folge dem immer noch anhaltenden Trend zur Statement-Kappe übrigens auch. Auf meiner Kappe steht z.B. gerade "Liebe Grüße".   Ich freue mich in jeden Fall, dass Dirk den Kontakt zu mir gesucht hat und bin gespannt auf die Ausstellung. Hoffentlich gefällt sie den Lippstädtern und sie kommen zahlreich.

 

Die Ausstellung beginnt am Samstag, 9. September um 16 Uhr im Kunstturm (Von-Tresckow-Straße 31, Lippstadt). Zur Eröffnung ist tierfreundliches Grillen angesagt. Die Einführungsrede hält Dirk Skowronski um 18 Uhr. Ab 20 Uhr legen DJ Eni & Gäste auf. Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 8. Oktober: mittwochs und samstags von 15 bis 18 Uhr, sonntags von 11 bis 16 Uhr (sowie nach Vereinbarung unter Tel. 0176 - 500 96 386).

 

PS: Die im Interview auch erwähnte Ausstellung „Lippstadt“ von Claus Richter im neuen Museumsdepot (Hospitalstraße 46a) ist verlängert worden, und zwar bis zum 28. September (mittwochs von 13 bis 18 Uhr sowie sonntags von 11 bis 18 Uhr).

 

PPS: Der Blicker gibt für den Besuch der Ausstellungen von Max Kersting und Claus Richter eine nachdrückliche Empfehlung ab.