Dunkle Lippstädter Alkoholgeschichten

Sorgenbrecher gingen auch in Lippstadt schon immer.

Starkbiere waren einst besonders beliebt.

Sorgenbrecher gingen auch in Lippstadt schon immer.

Starkbiere waren einst besonders beliebt.

Von Christoph Motog Lippstadt - Mehr Menschen als der Pest sind in der Geschichte Lippstadts der Cholera zum Opfer gefallen. Bei der letzten örtlichen Epidemie im Jahr 1866 erklärte sich der städtische Kanalreiniger Karl Hilkenbach alias Ehtzke Puh bereit, die Leichen zum Friedhof zu überführen. Hilkenbach, ein Lippstädter Original, hatte keine Angst vor einer Infektion mit dem gefährlichen Bakterium. „Schnaps ist gut gegen die Cholera“ war sein Mantra und täglicher Trinkspruch gegen die Ansteckung. Der zuständige Lippstädter Amtsarzt, Kreisphysikus Dr. Hilbck, wusste es zwar besser: „Cholera-Schnäpse schaden nur“. Denn: „Säufer infizieren sich am schnellsten.“ Die Wahrheit war aber auch: Der trinkfreudige Hilkenbach blieb bis zum Ende der Epidemie von einer Ansteckung verschont.

 Schnaps für den Henker

In vergangenen Jahrhunderten gab es weitere missliebige Aufgaben, die sich mit Alkohol offenbar besser ertragen ließen. 1798 ist der Posten des Lippstädter Scharfrichters und Abdeckers frei. Zum Tode verurteilte Menschen zu köpfen und Tierkadaver zu beseitigen, ist ein Posten, für den nicht viele Interesse bekunden. Den Zuschlag bekommt der Bewerber Anton Möller aus Wiedenbrück, obwohl – oder weil – er zur Bedingung macht, täglich „einen Orth Branntwein“ zu erhalten, was einem drittel Liter Hochprozentigem entspricht. Möllers Ansinnen ist problemlos zu erfüllen, wurden Ende des 18. Jahrhunderts doch rund 70 Schnapsbrennereien in Lippstadt geführt. 

 Bierstraße

Die Zahl der örtlichen Brauereien nahm sich dagegen mit 29 (Stand 1788) geradezu bescheiden aus. An Wertschätzung mangelt es dem Bier in Lippstadt jedoch nicht. Einst wurde das Bier hier sogar mit einer Straße gewürdigt. Die Kneipenmeile des 21. Jahrhunderts kann sich auf eine uralte Tradition berufen, trug die Poststraße doch zwischen 1759 und dem frühen 19. Jahrhundert den Namen Koitstraße. Bei Koit handelt es sich um ein süffiges Weißbier, das seinerzeit hoch im Zecherkurs stand. Die Lippstädter Koitstraße hielt indes, was ihr Name versprach – mit Wirtschaften, die Selbstgebrautes ausschenkten.

 Lippstädter Wein

Am westlichen Ende der Koitstraße, im Gasthof Laar (heute Café Central), wurde überdies einheimischer Wein kredenzt, gab es doch bis weit ins 18. Jahrhundert drei vor den Toren der Stadt gelegene Anbaugärten, deren Reben trotz des eher mittelprächtigen westfälischen Klimas gediehen – dank dichter und hoher Wallhecken. Die Straßen Weingarten im Norden und Am Weinberg im Süden erinnern heute an zwei der Anbaugebiete, das dritte befand sich zwei Steinwürfe östlich des heutigen Bahnhofs.

 Apotheken-Ausschank

Wer vor zweihundert Jahren – wie tief auch immer – ins Glas schauen wollte, musste nicht zwangsläufig in einen Gasthof einkehren. Der eine oder andere ging lieber in die Apotheke. Zwar war es den Pharmazeuten offiziell verboten, Schnaps und Likör auszuschenken, doch „diese Vorschrift wird hier wie auch in der Umgebung nicht genau befolgt“, heißt es in einem aufrüttelnden Lippstädter Zeitungskommentar aus dem Jahr 1823. Der Ausschank dürfe schon deshalb nicht mehr gestattet werden, weil „die gewöhnlichen Erzählungen und Mitteilung von Stadtneuigkeiten und Lügen der Schnapstrinker“ eine gefährliche Ablenkung bedeuten – schließlich muss der Apotheker Rezepturen zubereiten, die über Tod und Leben entscheiden.

 Kavaliersdelikt

100 Jahre später lauerten die Alkoholgefahren immer häufiger auf der Straße: Am frühen Abend des 6. Juni 1921 rammt der Erwitter Fabrikant Sch. mit seinem Automobil eine gerade niedergehende Schranke am Nordbahnhof. Der Angetrunkene hat sein Fahrzeug in letzter Sekunde abbremsen können, „andernfalls wäre ein Zusammenstoß mit dem gleichzeitig auslaufenden Personenzuge unvermeidlich gewesen. Das Auto erlitt einen Motordefekt und wurde auf polizeiliche Anordnung in einer Wirtschaft untergestellt.“ Und der Fahrer? Trunkenheit am Steuer gilt in der Weimarer Republik noch als entschuldbare Verfehlung, die schon nach wenigen Stunden verjährt ist: „Sch. konnte um Mitternacht weiterfahren.“

 Schwarzgebrannter

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte Not in Lippstadt. Weil das karge Angebot die Nachfrage nicht decken kann – obendrein ist Schnaps unerschwinglich – ist Selbstversorgung vonnöten. Schwarzbrennen ist in jenen Jahren strengstens verboten, aber weit verbreitet. Schlicht gestrickte Konstrukteure verwandeln Milchkannen und Töpfe in funktionsfähige Kleindestillen. Versiertere bauen sich elektrisch heizbare Anlagen mit Stufenschalter, Tauchsieder und Glasröhren. Der Schnaps wird häufig aus Zuckerrüben gewonnen. Getreide, Früchte oder Kartoffeln sind zu teuer. Weil die Destillation zwecks Geheimhaltung häufig auf dem Dachboden erfolgt, setzt sich für Schwarzgebrannten der Begriff Balkenbrand durch. Andere sprechen von Fusel, die Heimatzeitung warnt vor den gesundheitsschädigenden Folgen selbstgemachten Alkohols.

 

Der fürs Delikt zuständige Zoll kommt nur wenigen Schwarzbrennern auf die Schliche. Immerhin kommen beim Hauptzollamt in Lippstadt zwischen April 1947 und März 1948 70 Fälle zur Anklage. Ein ganzer Raum ist angefüllt mit beschlagnahmten Brennanlagen. Ersttäter kommen mit einer Geldstrafe „nicht unter 1000 Reichsmark“ davon, Wiederholungstäter müssen vor Gericht.

 

Epilog: 

Der letzte „Auf’s Blatt“-Korn wird in Lippstadt 1998 gebrannt, womit eine jahrhundertelange Spirituosenmacher-Tradition endet. Weissenburg Pilsener wird seit 1983 nicht mehr in Lippstadt gebraut, doch dank Thombansens Hausbrauerei ist Lippstadt im neuen Jahrtausend wieder amtlicher Bierstandort.