1920:

Bereits bei gerade mal mittelschweren Delikten veröffentlichte die Justiz vor 100 Jahren Steckbriefe.

Bereits bei gerade mal mittelschweren Delikten veröffentlichte die Justiz vor 100 Jahren Steckbriefe.

Von Christoph Motog

  Kreis Soest - Die Polizeimeldungen der frühen 1920er Jahre zeichnen sich durch eine aus heutiger Sicht krass anmutende Verschmelzung von sarkastischer Lakonie und unverblümt-detaillierter Schilderung aus. So kurz nach den  traumatischen Erfahrungen des Weltkriegs waren die Menschen allerdings auch nicht zimperlich. Nicht nur Täter, auch Opfer hatten den Finger schnell am Abzug. Nachfolgend einige ausgewählte Nachrichten, die im originalen Wortlaut wiedergegeben sind. Lediglich die damals meist voll ausgeschriebenen Nachnamen haben wir in der Regel abgekürzt. ZU BEACHTEN IST FERNER, DASS DAMALS VIELE BEGRIFFE VERWENDET WURDEN, DIE HEUTE ALS DISKRIMINIEREND VERPÖNT SIND. Anmerkung: In allen Zeitungszitaten haben wir die damals gebräuchlichen Schreibweisen beibehalten  

 

Lippstadt, 2. Januar 1920 – 

Karnickel gegen Schampus:

„Mehrere junge Burschen, welche es nach einigen feuchtfröhlichen Stunden am Sylvesterabende gelüstete, aber Ebbe in der Geldbörse hatten, stahlen kurzerhand einige Kaninchen und verkauften diese. Der Erlös wurde dann verjubelt.“ 

 

Lippstadt, 5. Januar – 

Ein Wagen ist kein Safe: 

„In letzter Zeit sind mehrfach die auf der Straße — insbesondere vor Gasthäusern — haltenden Wagen bestohlen worden. Dieser Tage wurde eine Person dabei beobachtet, wie sie aus einem Wagen eine Decke und 1 Mantel entwendete. — Beim Verlassen des Fuhrwerks empfiehlt es sich, mehr Wert auf die Sicherung seines Eigentums zu legen. Höchst unvorsichtig ist es heutzutage, Sachen im Reisewagen ohne Aufsicht zurück zu lassen. Die Täter sind inzwischen ermittelt und festgenommen worden.“ 

 

Soest, 18. Februar 1920 – 

Der Schütze und sein Würger: 

„Gut heimgeleuchtet wurde einem Einbrecher, der bei einem hiesigen Landwirt auf dem Boden angetroffen wurde. Er hatte sich die Schuhe ausgezogen und war bereits oben auf den Boden geschlichen. Er wurde von dem Landwirt angeschossen und mußte, da er denselben nach dem erhaltenen Schuß zu erwürgen suchte, gewaltsam niedergeschlagen werden. Er wurde dem städt. Krankenhause zugeführt.“ 

 

Geseke, 22. Februar – 

Bett und weg: 

„Zwei Reisende, welche in einem hiesigen Gasthause Nachtquartier gefunden hatten, benutzten die Gelegenheit, um sich an fremden Eigentum zu bereichern. Als am andern Morgen nachgesehen wurde, waren sie mit zwei Oberbetten verschwunden.“ 

  

Geseke, 26. & 27. April 1920 – 

Die unerschrockene Dienstmagd: 

„Am Freitag abend gegen 9 Uhr drangen 3 maskierte, mit Revolver und Seitengewehr bewaffnete Banditen in das an der Straße von hier nach Verlar gelegene Haus der Geschwister D. und verlangten unter Drohungen die Herausgabe des Geldes. Als ihnen dies verweigert wurde, griffen sie die Bewohner tätlich an und drohten mit Erschießen, worauf sich die Geschwister D. zur Herausgabe von 50 Mark für jeden der Strolche bereit erklärten. Diese wollten jedoch 500 Mark für jeden haben und durchstöberten nun das ganze Haus, während die Bewohner in einem Zimmer in Schach gehalten wurden. Das Dienstmädchen war jedoch aus dem Fenster gesprungen, um aus dem nahen Verlar Hilfe herbeizurufen. Als die Räuber dies merkten, verschwanden sie eiligst ... Das ganze vorrätige Geld – 1200 Mark – sind ihnen in die Hände gefallen.“ 

Am Tag danach ist der Fall aufgeklärt: 

„Der Polizei ist es gelungen, die Einbrecher, die den Geschwistern D. 1500 Mark raubten, festzunehmen. Durch Kinder wurde die Polizei auf 3 Russen aufmerksam, weil diese einige Tags vorher sich verdächtig in der Feldmark umhertrieben. Nach anfänglichem Leugnen gestanden sie ihre Tat ein. nur wollte keiner der Anführer sein, und der eine bezichtigte den andern. Es entstand darob bei dem Verhör unter den drei ,Ruskis‘ eine Prügelei, die schließlich zu dem vollen Geständnis führte. – Die Diebstähle und Einbrüche, die hier in der letzten Zeit passiert sind, finden jetzt ihre Aufklärung, u. a. wird auch der Einbruch in das Kaufhaus Kronenberg, wobei den Spitzbuben wertvolle Herrenstoffe in die Hände fielen, diesen Russen zur Last gelegt.“ 

 

Mastholte, 28. April 1920 – 

Schießwütige Räuber:

„Als der Kreis-Milch- und Butter Revisor Wilh. P. gestern Abend von einer Kontrollreise spät in seiner elterlichen Wohnung ankam, traf er dort Diebe an. Da P. den Langfingern entgegentrat, entspannte sich ein hartnäckiger Kampf, wobei P. durch mehrere Revolverschüsse am Kopf und Arm Verletzungen davontrug und dem Krankenhause in Rietberg zugeführt werden mußte. Beute haben die Diebe ca. 1800 Mark in Papier und 250 in Silber mitgenommen. Beim Einpacken des Fleisches, das sie auch schon zum größten Teil in einem Sacke hatten, wurden sie überrascht und mußten es im Stich lassen. Leider sind die Banditen unerkannt entkommen.“

 

Lippstadt, 15. Mai 1920 – 

Der Dieb bei Landgräber:

„Im Auto verfolgt wurde ein Dieb, der am Mittwoch nachmittag mit einem vor der Wirtschaft Landgräber stehenden Pferd und Wagen in der Richtung nach Langenberg davonfuhr. Bei Benteler wurde er jedoch eingeholt. Der Dieb, ein Zigeuner, leistete bei der Festnahme Widerstand. Er legitimierte sich mit einem Mitgliedschein der kommunistischen Partei und wurde dem Amtsgefängnis zugeliefert.“ 

 

Lippstadt, 10. Juni 1920 –

Geleimte Witwe: 

„Ein Heiratsschwindler namens Schneider aus Sachsen wurde auf Veranlassung einer Frau auf dem hiesigen Hauptbahnhof festgenommen. Derselbe hatte einer Witwe in Bettinghausen unter der Vorspiegelung, sie heiraten zu wollen, zwei Überzieher, einen Gehrockanzug, zwei Trauringe, eine Nickeluhr sowie 800 Mark entwendet. Schneider, der mit anderen Personen den gleichen Schwindel verübt hat, wurde dem Amtsgericht vorgeführt.“ 

 

Westenholz, 14. Juni 1920 – 

Urwüchsige Westfälinnen: 

„Zwei auswärtige Hamsterer, die hier in einem Dogkart vorfuhren, kauften einem hiesigen Landwirt gegen einen Hamsterpreis ein Schweinchen ab. Schnell wurde das zarte Borstentier auf der Tenne abgestochen und, in einen Sack gepackt, auf das Geführt geladen. Während der eine der Fremden bereits mit der Beute verschwand, blieb sein Genosse noch zurück, um den vereinbarten Preis zu zahlen. Als er seine Brieftasche gezogen hatte, tat er überrascht und erklärte, sein Geld irgendwo liegen gekästen zu haben. Schon will er in der Eile, da ihm die Stubentür verschlossen war, durchs Fenster ins Freie. Doch hinderten ihn hieran die Behendigkeit und Handfestigkeit der beiden Töchter des Hauses. Die eine bekam ihn bei dem Sprung aus dem Fenster noch an einem Beine zu fassen, setzte ihm durchs Fenster nach und hielt draußen den zu Fall gekommenen Mann so lange fest, bis ihre Schwester mit einem langen Seile den Ausreißer aus dem Hofe an einer Eiche festgebunden hatte. Während der Landwirt nun den Gefesselten mit der Schippe bewachte, holte eine der Töchter die Polizei herbei, die in dem festgehaltenen Hamsterer einen steckbriefl. Verfolgten entdeckte. Dieser Fall zeigt, daß die Urwüchsigkeit unter den Töchtern Westfalens noch nicht ausgestanden ist.“

 

Lippstadt, 10. Juli 1920 – 

Verriegel dein Rad: 

„Schon wieder ist ein Fahrraddiebstahl zu verzeichnen … Am Donnerstag nachmittag wurde dem Schlosser H. Morfeld aus Erwitte das Fahrrad gestohlen, als er sich in die Strickerei Moock, Ecke Lange-Mühlenstraße, begab, um einen Sack Wolle abzuliefern und zu fragen, ob er das Rad nicht einstellen könne. Als er nach wenigen Augenblicken wieder heraustrat, war es spurlos verschwunden. Es müssen hier ganz geriebene Spitzbuben am Werke sein. die das Stehlen von Rädern gewerbsmäßig betreiben. Wer sich daher vor Schaden bewahren will. tut gut, das Rad mit einem Schloß zu versehen und es stets zu schließen. …“ 

 

Benninghausen, 26. Juli 1920 – 

Alles nicht in Butter: 

„Eine rasche Aufklärung fand ein Einbruchdiebstahl, der … in der hiesigen Molkerei verübt worden ist. Diebe stahlen ein etwa drei Zentner schweres Faß, in dem sie Butter vermuteten, und fuhren es aus einem Wagen davon. Eine Viertelstunde später wurde der Diebstahl entdeckt. Als man die Verfolgung der Täter aufnahm, wurde die überraschende Wahrnehmung gemacht, daß überall weiße Spuren sichtbar waren. Das Faß, das statt der begehrten Butter Salz enthielt, hatte nämlich – glücklicherweise – ein Loch, durch das das Salz während der Wagenfahrt auf die Straße fiel. Es war daher ein Leichtes, die Diebe ausfindig zu machen. Man ging der verräterischen Salzspur nach, die von den Spitzbuben nicht beobachtet worden ist, und gelangte so nach dem Provinzialarbeitshaus, wo der Kutscher dieser Anstalt als Täter festgenommen werden konnte. …“ 

 

Mantinghausen, 10. August 1920 – 

Dünenräuber: 

„Eine Räuberbande scheint hier in den sogenannten Mantinghauser Bergen ihr Unwesen zu treiben. So sind in der letzten Zeit Fälle vorgekommen, wo harmlose Passanten des Abends aus der Straße Mantinghausen- Boke zwischen den Bergen von Vagabunden angefallen wurden unter der Drohung: ,Geld her oder‘s Leben‘ und so ihrer Barschaft beraubt wurden. Es ist tatsächlich schon so weit gekommen, daß man in unserer ländlichen Gegend seines Lebens nicht mehr sicher ist.“ 

 

Lippstadt, 16. Oktober 1920 – 

Über Leichen: 

„Diebstahl. Vor einigen Tagen erschien in einem Hause am Südertor ein Herr, der sich der Hausfrau gegenüber als Kriegskamerad ihres im Felde gefallenen Mannes ausgab. Er wurde bewirtet und benutzte einen unbewachten Augenblick, um aus dem Schreibtisch eines Zimmerherrn einen Betrag von etwa 2000 zu stehlen. Die Polizei fahndet nach dem Dieb.“ 

 

Lippstadt, 31. Oktober 1920 –

Mord im Beichtstuhl: 

„Die Güterabfertigungen der Westfälischen Landes-Eisenbahn in Rüthen, Warstein und Erwitte wurden in letzter Zeit häufiger durch schwere Einbrüche heimgesucht, … wobei den Dieben für etwa 10 000 Mark Baumwollwaren und Blankofahrkarten in die Hände gefallen sind. … Am Donnerstag mittag wurde bei einer Razzia auf dem Hauptbahnhof eine flüchtende Person festgenommen, der man … sämtliche in Warstein, Rüthen und Erwitte vorgekommenen Eisenbahneinbrüche nachweisen konnte. … Besagter Dieb gab noch zu. daß er in Mülheim (Ruhr) einen Pater im Beichtstuhl erschossen habe. Auch wurden dem Täter schwere Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug nachgewiesen. Der Täter fährt auf verschiedene Namen. In Belecke und Sichtigvor verkaufte er den gestohlenen Zucker unter dem Namen Barsch. In Wirklichkeit will er aber der Holländer Pou sein. Barsch alias Pou leistete bei der Verhaftung schweren Widerstand und flüchtete auf das Dach der Spielschule der Union. Den zu Hilfe eilenden Eisenbahnarbeiter Spickermann biß er in den Ellbogen, sodaß dieser ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mußte. Wie feststeht, ist der Verbrecher bereits auf dem Transport von Düsseldorf nach Arnsberg dem Transporteur entsprungen. Er rühmte sich schon im Voraus, daß er auch in Paderborn nicht länger als 5 Wochen festgehalten werden könne, dann würde er bestimmt wieder ausbrechen. Bartscher alias Pou führte ein scharfgeschliffenes Dolchmesser mit sich, ebenso Diebeslaternen und Bindfaden.“

 

Büren, 17. November 1920 – 

Selber schuld?:

„Vor einigen Tagen wurden einem hiesigen Müller 25 000 in barem Geld gestohlen. Ob der Mann das Geld aufgestapelt hat, um es der Besteuerung zu entziehen, steht noch nicht fest. So bedauerlich ein Diebstahl an sich ist, gibt es doch viele, die eine gewisse Schadenfreude empfinden. Mit der leidigen Unsitte, sein Geld im Strumpf aufzuheben, sollte man endlich brechen und es den Sparkassen und Banken übergeben, bei denen es sicher aufgehoben ist und Zinsen bringt. Man wundert sich über den geringen Wert unseres Geldes, bedenkt aber nicht, daß gerade durch die Geldhamsterei der Staat gezwungen ist, stets neue Scheine herauszugeben und daß eben dadurch der Wert des deutschen Geldes immer mehr sinkt. Wer Verständnis hat für die Not unseres Vaterlandes, sollte nicht mehr Geld zu Hause haben, als er für seinen täglichen Bedarf nötig hat. Damit dient er zugleich seinem eigenen Säckel und setzt sich nicht der Gefahr aus, außer seinem Schaden vielleicht noch verspottet zu werden.“

 

Anröchte, 17. November 1920 –

Wölfinnen Gottes: 

„In hiesiger Gegend suchen mehrere Frauen das Buch „Das Lamm Gottes“ aus dem Verlag der Michaels-Buchhandlung in Berlin zu vertreiben. Sie fordern für das Buch 83 Mark in Raten und versprechen, daß einige hl. Messen für die Bezieher gelesen werden. Vorher gehen sie zu dem Geistlichen und legen ihm eine Liste vor, damit er sein ,Gesehen‘ einschreibt. Sie teilen dem Geistlichen mit, daß das Buch nur 55 Mark kostet und sagen von den hl. Messen nichts. Da es kirchlich nicht gestattet ist, hl. Messen mit dem Verkauf eines Buches zu vereinigen, so mögen alle Geistlichen hiermit gewarnt sein. …“ 

 

Rietberg, 27. November 1920 – 

Leichenfledderei: 

„Im Grabe des Zigeunerhauptmanns. Bekanntlich starb im hiesigen Krankenhause im Laufe des Sommer der Pferdehändler Rosenbach, der Hauptmann eines von Mastholte (Jakobi) hier durchkommenden Zigeunertrupps. Die Leiche wurde unter großem Pomp auf dem katholischen Friedhof in einem eigens hergerichteten Grab beigesetzt. In einer der letzten Nächte ist nun die Gruft gewaltsam geöffnet worden. Der Täter hat das Vorhängeschloß erbrochen, den eisernen Deckel entfernt und ist dann in die gemauerte Gruft hinabgestiegen Dann ist der Sarg erbrochen worden, um hier die erhofften Schätze zu finden. Ob solche tatsächlich entwendet sind, kann nicht festgestellt werden, da niemand weiß, ob dem Toten irgendwelche Wertsachen mit in den Sarg gelegt worden sind.“