Doppelleben mit dem Güter

Theo (l.) und Grisula Nastopoulos (r.) führen den Güter in zweiter Generation. Bis vor zehn Jahren stand Vater Dimi noch hinter der Theke. -Archivfoto: privat

Theo (l.) und Grisula Nastopoulos (r.) führen den Güter in zweiter Generation. Bis vor zehn Jahren stand Vater Dimi noch hinter der Theke. -Archivfoto: privat

Lippstadt - Ein junger Mann, zum ersten Mal im Güter, blickt die Wirtin verdutzt an und fragt „Wo arbeiten Sie?“ -„Ja erst mal hier – ne!“, antwortet die Wirtin schelmisch. Doch der junge Mann schien überzeugt, dass er die Frau hinter der Theke von anderswo her kennt. Er lag richtig: Grisula Nastopoulos führt ein berufliches Doppelleben. Sie hat studiert, ist diplomierte Internationale Betriebswirtin und arbeitet als Personalreferentin. Als sie ihr Unternehmen kürzlich auf einer Azubimesse präsentierte, stand irgendwann ein Lippstädter vor ihr: „Sie kommen mir so bekannt vor!“ Es ist sogar schon vorgekommen, dass Gäste der Kneipe nichts ahnend ihr Büro betraten, um ein Vorstellungsgespräch zu führen. Manche empfinden es als surreal, dass sich die Lippstädterin in zwei komplett verschiedenen Welten bewegt. 

 Furchterregender Iro

Grisula alias Ciselda Nastopoulos besuchte die fünfte Klasse des Ostendorf-Gymnasiums, als ihre Eltern Dimi und Maria 1985 die Gaststätte zum Güterbahnhof übernahmen. Gewohnt wurde obendrüber. Als sie am Eröffnungsabend kurz den Schankraum betrat, um ihren Eltern Gute Nacht zu sagen, erschrak sie: Vor der Theke stand ein Mädchen mit „riesenhohem Irokesenschnitt, mit ganz langen Haaren“. Jene Punkerin erkannte Grisula ein paar Tage später in der Schule wieder und sprach sie freundlich an: „Du bist doch die Kleine aus dem Güterbahnhof.“ Das war für Grisula das Aha-Erlebnis schlechthin – „die fressen einen ja gar nicht auf“, dachte sie sich. 

 Lauter Sonntagsspieler

Grisula arbeitete in der Kneipe ihrer Eltern von Anfang an ein bisschen mit, sie spülte Gläser, entsorgte Müll oder brachte den vielen Griechen, die damals vor allem sonntags kamen, Spielkarten oder Backgammonbretter an die Tische. Dazu musste sie oft ans Telefon, weil die Ehefrauen jener spielfreudigen Griechen anriefen. Sie wollten ihre Männer abholen – doch die ließen sich verleugnen. Wer wie Grisula 40 Jahre in so einer Kneipe mitgearbeitet hat, könnte dicke Bücher mit Anekdoten füllen. 

 Unbegründete Vorurteile

Schon als junges Mädchen bekam sie auch mit, dass nicht wenige Lippstädter Vorurteile gegen den Güter hegten: „Da geht man nicht hin“ oder „Dieser Junkieschuppen“. Grisula verstand das nicht, wusste sie doch aus täglicher Anschauung, dass der durchschnittliche Gütergast in Wirklichkeit ziemlich normal drauf ist. So verstand sie sich stets zu wehren, wenn ihr jemand ins Gesicht sagte, der Güter sei eine schäbige Spelunke. Sie fragte dann zurück: „Ich habe dich bei uns noch nie gesehen, wie kommst du dann darauf?“ So hat sie manches Lästermaul zum Verstummen gebracht. „Die wurden dann verlegen und kleinlaut: ,Ja so war das ja gar nicht gemeint’.“ 

 Für die Kinder abgerackert

Vater Dimi rackerte sich jahrzehntelang als Wirt ab, um seinen Kindern eine gute Ausbildung jenseits der Gastronomie zu ermöglichen. Und das hat bei allen seinen vier Kindern ziemlich gut geklappt. Dass Grisula den Güter dennoch mit ihrem Bruder Theo fortführt, ist eine Herzenssache. Vater Dimi, der seinen Ruhestand in Griechenland verbringt, wollte gern, dass die Traditionskneipe auch ohne ihn weiterläuft. 

 Drei Tage Jubiläum

Und so jährt es sich nun zum 40. Mal, dass der Güter von der Familie Nastopoulos geführt wird. Das Jubiläum wird vom 6. bis 8. Februar lang ausgiebig gefeiert – mit Livemusik von drei Bands, zwei Partys und einer Lesung (siehe unten). -Christoph Motog