Iby Knill stirbt mit 98 Jahren

In ihrem 2010 veröffentlichten Buch "The woman without a number" hatte Iby Knill ausführlich beschrieben, was sie und ihre Gefährtinnen in Lippstadt erdulden mussten. Foto: Holocaust Memorial Day Trust

In ihrem 2010 veröffentlichten Buch "The woman without a number" hatte Iby Knill ausführlich beschrieben, was sie und ihre Gefährtinnen in Lippstadt erdulden mussten. Foto: Holocaust Memorial Day Trust

Von Christoph MotogLippstadt - Sie gehörte zu den über 1000 aus Auschwitz überstellten Frauen, die zwischen Sommer 1944 und Frühjahr 1945 als Sklavinnen in Lippstadt schuften mussten: Iby Knill. Am Ostersonntag, 16. April ist die Holocaust-Überlebende im Alter von 98 Jahren an Covid-19 gestorben – und damit genau 77 Jahre nach ihrer Befreiung am Ostersonntag 1945 während des Todesmarsches nach Bergen-Belsen.

 

Iby Knill (geborene Ibolya Kaufmann) wuchs in behüteten Verhältnissen in Bratislava auf. Als die Slowakei 1939 zum deutschen Vasallenstaat wurde, flüchtete sie nach Ungarn. Das junge Mädchen schloss sich einer Gruppe von Widerstandskämpfern an, bevor sie im Frühsommer 1944 nach Auschwitz deportiert wurde. Dort musste Iby als Versuchskaninchen für ein Röntgenstrahl-Experiment des berüchtigten Josef Mengele herhalten. Daraufhin erkrankte die nunmehr 20-Jährige schwer, konnte aber dank der Hilfe einer Ärztin vorm Schlimmsten bewahrt werden. Bald darauf nutzte sie die Chance, Auschwitz zu verlassen. 

 

Fortan war es ihre Aufgabe, in Lippstadt den Krankendienst für hunderte von Leidensgefährtinnen zu machen, die sich in einer Fabrik placken mussten. In zwei Kapiteln ihres 2010 veröffentlichen Erinnerungsbuchs „The woman without a number“ beschreibt Iby Knill ausführlich, was sie und ihre Gefährtinnen in Lippstadt erdulden mussten. (Der Blicker hat den Lebensbericht vor sieben Jahren in einer Serie zusammengefasst. Später veröffentlichte die Redaktion auch eine Übersetzung ihres Holocaust-Gedichts).

 

Nach der Befreiung blieb Iby Knill zunächst in Deutschland, um als Übersetzerin für die britische Militärregierung zu arbeiten. Dabei lernte sie den englischen Offizier Bert Knill kennen und lieben. Später ging das Paar nach Leeds, wo Iby Knill bis zu ihrem Tod gelebt hat. Wie so viele Überlebende war sie erst im fortgeschrittenen Alter imstande, sich mit ihren traumatischen Erfahrungen auseinanderzusetzen. Iby Knill war fast 80, als sie begann, über den Holocaust zu sprechen. Sie hat nicht mehr damit aufgehört: Bis zum Beginn der Corona-Pandemie reiste die hochbetagte Frau unermüdlich durch England und Schottland, um vor Schülern und Studenten über ihre Erfahrungen zu sprechen.

 

Für ihr Engagement wurde sie 2017 von der Queen mit der „British Empire Medal“ geehrt. Darüber hat sich Iby Knill überaus gefreut. Einer ihrer Wünsche ging allerdings nicht zu ihren Lebzeiten in Erfüllung: Sie hatte gehofft, dass ihr in England so erfolgreiches Buch auch in Deutschland veröffentlicht wird. Meine Versuche, einen Verlag für sie finden, waren leider erfolglos.

 

Das Glück, den Holocaust zu überleben, sei ihr offenbar beschieden worden, „um über alles Zeugnis abzulegen“, schrieb Iby Knill einmal. Sie hat an eigenem Leib erlebt, welche entsetzlichen Folgen Intoleranz und Vorurteile nach sich ziehen können. Iby Knills Vermächtnis lautet: „Tief in unserem Innern sind wir alle gleich. Und: Jeder Einzelne kann etwas bewirken. Entscheidend ist für uns alle, Unterschiede nicht nur zu respektieren und zu akzeptieren, sondern diese wertzuschätzen – bereichern sie doch das Leben und machen es interessanter. Und gleichzeitig müssen wir lernen, friedlich und in gegenseitigem Vertrauen zusammen zu leben.“