„Echte Alternative“: Velomobile

Velomobilfahrer sind vor Wind und Wetter geschützt. Ausschließlich mit Muskelkraft können sie immense Geschwindigkeiten erreichen. Fotos: Motog

Fabrikneue Gefährte sind kaum unter 8.000 Euro zu bekommen. Gebrauchte kosten mindestens 3.000 Euro.

Velomobilfahrer sind vor Wind und Wetter geschützt. Ausschließlich mit Muskelkraft können sie immense Geschwindigkeiten erreichen. Fotos: Motog

Fabrikneue Gefährte sind kaum unter 8.000 Euro zu bekommen. Gebrauchte kosten mindestens 3.000 Euro.

Von Christoph Motog

 

Lippstadt. „Kommen Sie schnell! Auf der B1 vor Erwitte machen Kinder ein Seifenkistenrennen.“ Es geschah vergangenen November. Der Anrufer klang besorgt. Die Polizei machte schnell und wurde auf der B55 fündig. Die angeblichen Seifenkisten entpuppten sich als ultramoderne, schnittige Kabinendreiräder. Die Beamten stoppten die avantgardistischen Fahrer: „Waren Sie vielleicht gerade auf der B1 unterwegs?“ -„Ja“, antwortete der in seinem gelben Flitzer sitzende Jörg aus Beckum. Den Polizisten wurde alsbald klar, dass es sich hier nicht um illegal getunte E-Bikes handelte, sondern um so genannte Velomobile: vollverkleidete, stromlinienförmige Liegeräder, die aufgrund des geringen Luftwiderstands einen Affenzahn draufhaben können. Zwischen den Radlern und den Beamten entwickelte sich ein freundliches Gespräch. Es gab nichts zu beanstanden, und am Ende wurde ein Foto gemacht, das es in den Polizeibericht und den Patriot schaffte.

 

„Mittlerweile wissen landauf, landab eigentlich alle Polizisten Bescheid“, sagt Jörg, der bereits seit zehn Jahren Velomobil fährt. Vor ein paar Jahren sah das noch anders aus. Der Beckumer erinnert sich , wie er mal innerorts mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit unterwegs war. Er wurde angehalten und um die Fahrzeugpapiere gebeten. Jörg besaß aber keine, weil er die für sein ausschließlich per Muskelkraft bewegtes Rad gar nicht braucht. Die Polizei konnte es kaum glauben und hakte mehrmals nach, am Ende im fast schon resignierten Tonfall: „Wirklich kein Motor?“ –„Wirklich kein Motor!“

 

Wetterfest und schnell

 

Für Jörg steht sein gelber Flitzer für „effizientes Fortkommen“. Aufgrund der erreichbaren Geschwindigkeit sind wesentlich größere Strecken machbar als mit normalen Gangschaltungsrädern, aber auch als mit E-Bikes oder Pedelecs. „Der Aktionsradius erweitert sich immens. Du kannst wirklich Kilometer fahren, die normale Leute mit dem Auto im Jahr fahren.“ Die Durchschnittsgeschwindigkeit bei Stop and Go beträgt 35. „Hundert Kilometer in drei Stunden sind problemlos machbar.“

 

Jörg pendelt unter der Woche täglich 30 Kilometer von Beckum zur Arbeit nach Bönen. Und zwar nicht nur im Sommerhalbjahr, sondern ganzjährig – selbst bei starkem Regen. In seinem Velomobil ist er vor Wind, Niederschlägen und sogar Kälte geschützt. Ob starker Gegenwind oder Schietwetter: „Der innere Schweinehund findet keine Argumente mehr! Die kann man mit dem Velomobil alle wegdrücken!“ Schwergängig läuft das verkleidete Dreirad nur im Falle einer Schneedecke, aber das betrifft ja nur wenige Tage im Jahr. Was fast alle Kabinenradler lieber meiden, sind zudem Bergauffahrten, weil die so anstrengend sind. 

 

Auch in puncto Sicherheit trumpfen Velomobile. Dank der liegenden Fahrerposition betrifft der Aufprall bei Frontalunfällen zuerst die Füße und nicht den Kopf. Auch Stürze werden, im Gegensatz zu normalen Fahrrädern, weitgehend verhindert. Die Verkleidung bedeutet eine Knautschzone. Im Stadtverkehr von Nachteil ist allerdings die niedrige Sitzhöhe: „Zum einen hat man selbst nicht viel Übersicht, zum anderen ist man schnell mal hinter einem Blickschutz verdeckt und kann dann von anderen Verkehrsteilnehmern übersehen werden.“

 

Doch dieser Nachteil fällt für fast alle Velomobilisten kaum ins Gewicht, nutzen sie ihr Rad doch vorwiegend für Überlandfahrten. Auf Land- und Bundesstraßen werden sie von Autofahrern mit erstaunlich viel Respekt passiert. „Die fahren große Kreise um uns herum.“ Wobei einige schlecht einschätzen können, wie schnell die Kabinenradler tatsächlich unterwegs sind. Es kommt vor, dass „hinter dir ein Auto ist, was nicht überholt. Und dann will, im schlimmsten Fall kurz vor einer Kurve, von hinten auf einmal ein Gesenkter vorbeiknallen, weil ihm gar nicht klar ist, dass weiter vorn noch ein Rad unterwegs ist."

 

Keine Radwegpflicht

 

Zuweilen kommt es vor, dass Kabinenradler von Kraftfahrern angeraunzt werden, wenn sie auf Straßen mit angrenzendem Radweg fahren. Dabei ist es ihr gutes Recht: Weil es sich bei einem Velomobil laut Straßenverkehrsordnung um ein mehrspuriges Fahrrad handelt, besteht für sie keine Radwegpflicht. Aus gutem Grund, sind doch fast alle Radwege äußerst schmal gebaut und maximal für Tempo 20 geeignet.

 

Wer wollte Jörg widersprechen, wenn er voller Überzeugung den Schluss zieht: „Das Velomobil ist eine echte und alltagstaugliche Alternative zum Auto.“ Warum aber gibt es dann nur rund 1000 aktive Kabinenradler in Deutschland? Ein Grund ist der hohe Preis: Neuräder sind kaum unter 8.000 Euro zu bekommen, weil sie mit viel aufwändiger Handarbeit und nur in Kleinserien gefertigt werden. Junge Familienväter könnten sich das finanziell nicht leisten.

 

Ein weiteres Ausschlusskriterium ist für manche der Platzbedarf: Ohne eine geeignete Abstellfläche geht es nicht. Wer im vierten Stock wohnt und keine Garage hat, dürfte vor einem Velomobil-Kauf zurückschrecken. Kein Wunder, dass die meisten Besitzer nicht in den Innenstädten, sondern außerhalb wohnen.

 

Altherrenräder?

 

So überschaubar wie der Kreis der Hersteller, so dünn ist auch das Händlernetz. In Westfalen ist kein einziger ansässig. Die heimischen Fahrer haben ihre Räder in Hannover oder Straelen gekauft. Hinzu kommt, dass sich mit Velomobilen nicht bewanderte lokale Fahrradhändler meist auch keine Reparaturen zutrauen. Und dass, obwohl die Fahrradtechnik grundsätzlich die gleiche ist – nur anders verpackt. Im Falle einer Panne müssen sich heimische Velomobilfahrer jedenfalls selbst helfen – ein wenig fahrradtechnisches Verständnis ist ein Muss. Da überrascht es nicht, dass die meisten ohnehin gern basteln: Kaum ein Velomobil bleibt wie von der Stange. Für viele ist es ein Hobby, ihr Rad zu optimieren – mit hellerem Licht, besseren Blinkern, einem tauglicheren Visier oder selbst entworfenen, dekorativen Aufklebern.

 

Dass der durchschnittliche Fahrer Mitte bis Ende 50 ist, liegt nicht nur an den hohen Anschaffungskosten. Unter Velomobilisten kursiert die Beschreibung „Altherrenrad“, weil „du dich da bequem reinlegen kannst und dir auch nach längeren Fahrten so gut wie nichts weh tut.“ Zudem ist es eine sitzfleischfreundliches Vergnügen: „Wenn man mal eine Pause macht, braucht man gar nicht aussteigen.“